küchenmaschine

Diese Küchenmaschine ist erst seit einem knappen Jahr in meinem Besitz. Sie gehörte meiner Mutter, der meine Schwester und ich sie in den 1990er Jahren schenkten. Damals wurden die Hände meiner Mutter aufgrund ihrer Rheuma-Erkrankung zusehends unbeweglicher, und nachdem sie häufig geklagt hatte, dass sie deswegen viele ihrer Lieblingsrezepte nicht mehr backen oder kochen konnte, kauften wir ihr die Küchenmaschine, eine Bosch MUM. Meine Mutter hat die Küchenmaschine allerdings bis zu ihrem Tod vor zweieinhalb Jahren praktisch nie benutzt. Voriges Jahr zu Weihnachten bat ich deshalb meinen Vater, sie mir weiterzuvererben, so dass sie – mit allem Zubehör in einer großen Plastiktüte mit Schleife verpackt – Heiligabend unter unserem Weihnachtsbaum landete.

Meine Mutter war – wie mein Vater auch – eine überzeuget Feindin elektrischer Küchenhelfer. Meine Eltern waren überzeugt davon, dass Eischnee und Sahne niemals steifer geschlagen würden als mit einem altmodisch anmutenden Handkurbelsahneschlaggerät mit Drehgriff und doppelten Quirlen. Mein Vater lieferte sich zum Beweis dieser These in meiner Kindheit mehrfach Sahneschlagwettbewerbe mit einer meiner Großtanten, die ihrerseits passionierte Nutzerin eines elektrischen Handrührgeräts war. Damals gewann seine Sahne – sowohl hinsichtlich der Schlaggeschwindigkeit als auch hinsichtlich der Konsistenz. Entsprechend war für meine Mutter die einzige akzeptable Art, Teig zu bearbeiten, das mühsame und muskel- und nervenzerrende Kneten mit den Händen – im Winter zusätzlich erschwert durch niedrige Zimmertemperaturen in unserer Hamburger Altbau-Küche. Alle Kuchen- und Keksteige meiner Kindheit wurden ausschließlich per Hand in einer großen irdenen Rührschüssel vorbereitet und dann auf der Arbeitsfläche weiter bearbeitet – und waren deshalb oft bröselig, inhomogen und schwer auszurollen und auszustechen.

Als ich Mitte der 1980er Jahren mit meiner Mutter auf einer ihrer botanischen Forschungsreisen in Kenia unterwegs war, campierten wir am Anfang der Expedition einige Nächte in der spärlich ausgestatteten Junggessellenwohnung eines ihrer Botaniker-Kollegen. Aus irgendeinem Grund beschlossen wir, einen Biskuit-Kuchen zu backen – nur um viel zu spät festzustellen, dass in jenem Haushalt nicht einmal ein gewöhnlicher Schneebesen vorhanden war. Wir schlugen den Eischnee also mit einer Gabel auf, was auch funktionierte – und sehr, sehr lange dauerte. Als 1985 der Film „Out Of Africa“ herauskam, sah ich ihn mit meiner Mutter zusammen im „Magazin“ am Lattenkamp. Bei der Szene, in der Meryl Streep bzw. Karen Blixen ihrem afrikanischen Butler zu zeigen versucht, wie man Sahne (oder Eischnee?) schlägt, brachen wir in unangemessen lautes und langes Lachen aus, das uns missbilligendes Räuspern aus den Reihen vor und hinter uns einbrachte. Dies war übrigens in meinem ganzen Leben der einzige gemeinsame Kinobesuch mit meiner Mutter. Dabei fällt mir ein, dass der allererste Film, den ich überhaupt im Kino gesehen habe, Frank Herberts/David Lynch’s „Der Wüstenplanet“ war. Diesen Film besuchte ich gemeinsam mit meinem Vater, einem  begeisterten Science-Fiction-Fan. Der Film lief direkt um die Ecke von unserem Haus im winzigen Kino an der Tangstedter Landstraße (das es offenbar mit den Altersfreigaben damals nicht zu genau nahm).

Irgendwann im Laufe meiner Marburger oder Mainzer Jahre kaufte ich mir ein Handrührgerät, mit dem ich von da an die weichen Vorstufen von Kuchen- und Keksteigen herstellte (und auch Sahne schlug). Die Knethaken nutzte ich nicht. Als meine Mutter die Küchenmaschine ausprobierte, war sie von deren Knetfunktion ebenfalls nicht überzeugt. „Die produziert ja nur Krümel“, kommentierte sie, und verzichtete – trotz ihrer rheumatischen Hände – auf den Einsatz der Küchenmaschine. Erst als ich vor knapp drei Jahren anfing, selbst Brot zu backen, verstand ich, dass sowohl ich als auch meine Mutter die Knetfunktion schlichtweg nie lange genug hatten laufen lassen und dass bei geduldigem Warten aus dem zunächst zunehmend krümeligen dann tatsächlich ein immer homogenerer und letztendlich wunderbar weiterverarbeitbarer Teig wird. Geduld war keine ausgeprägte Charakterstärke meiner Mutter.

Mit dem Brotbacken zog zunächst die Teigkarte aus dem Gemischtwarenladen meines Stiefgroßvaters in meine Küche um, dann – ein knappes Jahr nach meinen ersten Brotbackversuchen – die Küchenmaschine. Meine Küchenmaschinenknetvideos sind in meiner Lieblingsbrotbackgruppe auf Facebook immer ein besonderer Renner, da einige der Mitbäcker bis heute nicht verstehen, wie die zwar tüchtige, aber gemächliche Maschine tatsächlich Brotteige herstellen kann. Gleichzeitig prophezeien meine Backfreunde regelmäßig, dass meine Brote noch schöner werden würden, wenn ich eines Tages auf eine neuere, kräftigere, schnellere Maschine umsteigen würde. Bisher habe ich mich noch nicht für einen Wechsel entschieden.

„The slow blade penetrates the shield“, sagt Gurney Halleck beim Kampftraining zu Paul Atreides. Und ganz am Anfang des ersten Bandes sagt die ehrwürdige Mutter Gaius Helen Mohiam zu Paul: “Once men turned their thinking over to machines in the hope that this would set them free. But that only permitted other men with machines to enslave them”.


Anmerkung: Die in diesem Artikel erwähnten Markenartikel haben die Betroffenen bzw. ich selbst zum jeweiligen Zeitpunkt jeweils selbst zu regulären Preisen erworben. Ich schreibe über die Produkte, weil sie mir etwas bedeuten. Materielle Vorteile habe ich durch die Erwähnung der Produkte nicht.