definitorium

Dieses „Definitorium“ schenkte mir mein entfernter Onkel mütterlicherseits, der Hamburger Kunstliebhaber und -sammler Gerhard Schack, mit Datum vom 29. Februar 1996. Den zugrundeliegenden Austausch von spitzfindigen Erklärungen der unterschiedlichsten Worte hatten wir beide schon seit einiger Zeit gepflegt, und Gerhard kreiierte auch gemeinsam mit anderen Menschen in seinem Freundes- und Bekanntenkreis solche Definitionen. Das Definitorium wurde deshalb im Laufe der Zeit immer umfangreicher.

Über Gerhard habe ich gerade in meinem letzten Eintrag hier geschrieben. Da mir das Definitorium dadurch wieder frisch in Erinnerung war, nutzte ich im September die #Septemeer-Initiative von Kiki Thaerigen, um die – eigentlich als Anregung für Zeichnungen, Aquarelle oder andere visuell-künstlerische Gestaltungen gedachten – Stichwörter rund ums Thema „Meer“ im Stil des Definitoriums zu bearbeiten. Die komplette Liste steht etwas weiter unten.

Vor einigen Jahren war die Idee des Definitoriums übrigens im Austausch mit einem guten Freund schon einmal wieder aufgelebt. Er und ich tauschten einige Wochen lang neue Einträge per SMS, was den Charme hatte, dass die beiden Teile der Definition – das: „… ist nicht…“ und das: „… sondern…“ – auf mehrere Nachrichten verteilt werden konnten. Leider kam dieser Definitionswechsel – und danach sogar für eine Zeit auch unsere Freundschaft – zum Erliegen, weil seine damalige Ehefrau unsere Begeisterung für neue Einträge im Definitorium nicht teilen mochte.

FUNKLOCH – so einigten wir uns seinerzeit – ist nicht die unbeabsichtige Unterbrechung einer Platte von James Brown, sondern ein in Schottland entwickelter Behandlungsansatz zur vollständigen Auflösung von Panikattacken.

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… und hier das Definitorium zum #Septemeer2018 (dessen künstlerische Beiträge über den Hashtag zu suchen und zu genießen ich übrigens ausdrücklich auch empfehle):

  1. MUSIK ist übrigens nicht die genervte Reaktion einer Berlinerin auf die Aufforderung beim #Septemeer2018 mitzumachen, sondern eine abfällige Bezeichnung für jemanden, der hinter jeder Äußerung einen -mus wittert.
  2. QUALLEN sind nicht die Schwierigkeiten eines Rechtschreibschülers beim Einüben der korrekten Verwendung doppelter Konsonanten, sondern eine in Fachkreisen übliche Bezeichnung für böswillig gefälschte historische Dokumente.
  3. MUSCHELN ist keine Bezeichnung für das unuffllige Usüben unluterer Mchenschften, sondern alpenländische Mundart für „Kuhglocken“.
  4. SEEPFERDCHEN bezeichnet nicht die verblassenden Spuren eines austrocknenden Binnengewässers, sondern ist ein Abzeichen für Eltern, die sich trauen, ihre Kinder aus den Augen zu lassen, während sie selbst bei PokémonGo Ponitas fangen.
  5. MEERJUNGFRAU ist nicht die Aufforderung des Professors an die Studentin, die Werke eines Schweizer Psychiaters intensiver zu studieren, sondern eine hanseatische Bezeichnung für die im Hafen zurückbleibende Freundin eines minderjährigen Seemanns.
  6. SURFER ist nicht das orthographisch verhipsterte Motto eines um respektvollen Umgang der Teilnehmer bemühten Geräuschemacherwettbewerbs, sondern das eingetragene Warenzeichen eines französischen Startups für eine besonders sichere, saubere Eisenlegierung.
  7. KRAKEN ist nicht der Arbeitstitel eines unveröffentlichten James-Bond-Films aus den frühen 1980er Jahren, sondern die aussterbende japanische Kunst, Keramik so zu zerschmeißen, dass die Scherben sich danach auf schönstmögliche Weise zusammenkleben lassen.
  8. HUND ist kein kriminalistischer Oberbegriff für alles, was nachts unerwarteterweise keine Geräusche macht, sondern ein andere Wort für „keine Katze“.
  9. FAMILIE ist keine Gesichtspflegeschaummarke zur schonenden Entfernung von Hautgrieß, sondern eine im italienisch-französischen Grenzgebiet in den südlichen Alpen beheimatete Untergrundfrauenbewegung mit der Höchstmitgliederzahl von 1.000.
  10. Der MEERESKÖNIG ist nicht nur der gegengleiche Gefährte der Erdenbürgerin aus der keltischen Mythologie, sondern auch ein aus der irischen Folklore stammender Ausdruck für eine besonders schöne Wolke, die am Horizont im Wasser zu zerfließen scheint.
  11. KRABBE ist nicht die ungeschickte Eindeutschung eines englischen Vulgärausdrucks für „zweitklassige Sch***e“, sondern der Fachterminus für einen in Vergessenheit geratener Tanzschritt, bei dem man alle Extremitäten angewinkelt seitwärts bewegt.
  12. FISCHBRÖTCHEN ist nicht die Aufforderung eines Nordlichts an ein anderes, endlich Schrippen (oder Rundstücke) holen zu gehen, sondern einfach ein anderes Wort für „Bärenhunger“.
  13. KUTTER ist kein mundartlicher Ausdruck für ein weibliches Rindvieh mit Kalb, sondern eine in Klöstern übliche scherzhafte Bezeichnung für einen Mönch, der sein Ordensgewand mit besonderem Stolz trägt.
  14. TAUCHER ist nicht die Beschwerde eines französischen Druckers über den Preisanstieg bei griechischen Lettern, sondern die Aufforderung eines Seemanns an einen anderes, das dritte Reep aus der in alphabetischer Reihenfolge markierten Reepreihe anzureichen.
  15. VOGEL ist nicht der liebevolle Spitzname der Redaktion eines Luxusmarkenmodemagazins für den blutjungen neuen Praktikanten, sondern das, was vom Scherzkeks übrig bleibt, wenn ihm der Spaß vergangen ist.
  16. HORIZONT ist nicht der Markenname einer spanischen Dauerwurst, deren Hersteller behaupten, die Rezeptur schon seit biblischen Zeiten zuzubereiten, sondern ein ungebräuchliches, aus dem Lateinischen stammendes Fremdwort für „in Stunden eingeteilt“.
  17. WELLE ist kein Berliner Hipsterslangwort für den Wohlfühlanwendungsbereich im Fitnessstudio, sondern der Ausdruck eines in Schwaben sprachassimilierten Briten für: „Hmmm, ja, möglicherweise vielleicht – oder aber auch…“
  18. ROBBE ist nicht der nur allerengsten Vertrauten bekannte Jugendbandenspitzname des späteren Anführers der Terreur, sondern eine Bezeichnung aus der Gaunersprache für Diebe, die regelmäßig ein Sechstel ihrer Beute an Bedürftige weitergeben.
  19. SANDBANK ist keine Szene-Begriff für die Elternrumsitzgelegenheiten am Rand von Spielplätzen, sondern ein Finanzinstitut mit besonderen Angeboten für Menschen, denen das Geld durch die Finger rinnt.
  20. STRANDBURG ist keine nach einem schwedischen Auswanderer benannte Kleinstadt in South Dakota, sondern das Pseudonym, unter dem Steven Spielberg in den 1980ern eine Zeichentrickserie über den Überlebenskampf einer Gruppe sprechender Sandwürmer entwickelte.
  21. EIS steht nicht für die um einen Halbton erhöhte Energiemenge des Körpers nach Zufuhr von gefrorenen Süßspeisen, sondern ist ein aus der Marinesprache stammender Ausdruck für die Immernurjasager in einer Schiffsbesatzung.
  22. GEZEITEN ist nicht der resignierte Kommentar eines bayerischen Staatsbürgers zum Lauf der Welt, sondern eine klandestine Sekte von Barfußläufern, die nur auf den Zehenspitzen laufen.
  23. BOJE ist keine überraschter Ausruf angesichts eines gleichermaßen verblüffenden wie traurigen Ereignisses, sondern ein an der französisch-belgisch-niederländischen Atlantikküste üblicher Spitzname für einen kleinwüchsigen Schönling.
  24. SEGELSCHIFF ist nicht der wortkarge Dialog zweier Schwaben über maritime Reisepläne, sondern der grob fehlerhaft transkribierte Titel eines Indianeromans über den sogenannten Möwenhäuptling.
  25. DLRG ist nicht die Abkürzung für das gemeine Dünenlandrispengras, sondern ein Jugendsprachausdruck für „sich etwas verbeult fühlen“.
  26. SCHWIMMEN bezeichnet nicht die typischen Druck-Kratz-Wunden, die Kinder im Sommer an den Knien haben, sondern die Wahlentscheidungen von besonders wankelmütigen Wechselwählern.
  27. PIRATEN ist natürlich keine Fernsehquizshow, in der die Teilnehmer mathematische Konstanten abschätzen müssen, sondern ein mittelalterlicher englischer Brauch, Scheiterhaufen exakt um zehn Uhr in Brand zu setzen.
  28. ANGLER ist nicht der für seine minimalistischen Buddhismusauslegungen bekannte, jüngere Bruder eines renommierten taiwanesischen Regisseurs, sondern ein aus dem Englischen entlehnter Ausdruck für Menschen, die zwanghaft immer um die Ecke denken.
  29. TREIBGUT ist nicht die weitläufigste der in der Antike als 13. Weltwunder bekannten schwimmenden Ländereien von Atlantis, sondern der kollegial-sportliche Gruß, mit dem sich professionelle Pu-Stöckchen-Spieler einen gelungenen Wettkampf wünschen.
  30. HAFEN ist keine verschliffene Infinitivform für die Tätigkeit des “Habe fertig”, sondern ein ungemein schludriges Buchstabenkürzel für: “Herzlichen dAnk an die wunderFolle E13kiki für einen kreativen septeNber!”