vielzweckklemme

 

Als ich dieser Vielzweckklemme der Jakob Maul GmbH zum ersten Mal bewusst begegnete, war ich fast dreißig Jahre alt. Bei der Firma, bei der ich damals zu arbeiten begann, war der mauly® selbstverständlicher Bestandteil der Ausstattung des (oft mobilen) Arbeitsplatzes. Ein paar maulys®, ein gelber Block, Faserschreiber von STAEDTLER® und ein BlackBerry® mit Headset zeigten, dass man dazu gehörte. „Hast Du mal einen mauly®?“, ist vermutlich der Satz, den ich in meinen Jahren bei jener Firma am häufigsten gesagt und gehört habe. Bis heute habe ich immer mindestens eine solche Klemme griffbereit in meiner Tasche (über deren Inhalt ich vor einiger Zeit einmal hier geschrieben habe), und bis heute schramme ich mir daran mindestens einmal im Monat einen Fingerrücken blutig.

Auf Wikipedia gibt es unter dem Lemma „Foldback-Klammer“ einen schönen, sachlichen Artikel über diese Art der Vielzweckklemme. Dort heißt es unter anderem: „Eine Foldback-Klammer besteht aus einem Streifen Federstahlblech, das zu einem geraden Prisma gebogen ist. An der Spitze des Prismas sind zwei Griffe befestigt, mit deren Hilfe die unter Spannung stehende Klammer geöffnet werden kann. Abgerundete Kanten verhindern dabei, dass das Blech in das Papier schneidet. Dadurch, dass die Griffe umgeklappt werden können, wird bei gleicher Klemmleistung eine kleinere Bauform als beim (älteren) Briefklemmer erreicht“. Weiterhin erfährt man in dem Artikel, dass die Klemme im Jahre 1910 von Louis E. Baltzley in Washington, D.C. erfunden wurde und das US-Patent mit der Nummer 1139267 trägt. Auch die Vor- und Nachteile der Klemme im Vergleich mit normalen Heftklammern werden aufgelistet. Schließlich verlinkt der Artikel eine Rezension der Washington Post zu einem Buch über Designklassiker, in dem die Klemme Platz 97 der 999 großartigsten Erfindungen aller Zeiten belegt.

Bei der Firma, bei der ich den mauly® kennenlernte, hatte ich einen Kollegen, der penibel darauf achtete, dass die Klemmen auf den Ausdrucken von Präsentationen, die an Klienten verteilt wurden, exakt im Abstand einer Klemmenbreite von der linken oberen Ecke angebracht wurden. Damit der Stapel der Ausdrucke dann nicht an einer Seite viel höher wurde als an der anderen, mussten die Ausdrucke anschließend jeweils im Wechsel richtig herum und auf dem Kopf aufeinander gelegt werden. Diese Gewohnheit habe ich bis heute beibehalten, wenn ich mit Klemmen zusammengeheftete Dokumente aufeinander lege. Andere Kollegen klemmten als Antwort auf das Stapelproblem den mauly® auf jedem Dokument um eine Klemmenbreite weiter nach innen, so dass sich eine diagonale Klemmenreihe ergab. Das sah im Stapel hübsch aus, wirkte auf mich aber nach dem Verteilen der Dokumente immer unordentlich. Es gab auch Kollegen, die alle Klemmen direkt bündig an den Rand des Dokuments setzten, was aber natürlich das Stapelproblem überhaupt nicht löste.

Nachdem ich dem mauly® einmal begegnet war, entdeckte ich – wie wohl alle, die mit ihm in Berührung kommen – immer neue und immer andere Einsatzmöglichkeiten. Bei der Arbeit klemme ich mit dem mauly® Ausdrucke von Präsentationen zusammen, halte Papierstapel aufeinander, die zu einem Projekt oder einem Thema gehören, und sortiere Ausdrucke von Zeitungsartikeln, Investment-Reports oder Industrieperspektiven. In meiner Küche verschließe ich mit den Klemmen angebrochene Tüten von Mehl, Zucker, Reis, Nudeln, Pinien-, Kürbis- oder Sonneblumenkernen, Zimt, Chilis, Safran, Curry, Pfeffer oder Salz. Im Bad schütze ich mit den Klemmen Zahnpasta-, Makeup- oder Duschgel-Tuben vor dem Aufrollen, Austrocknen oder Auseinanderfallen. Am Computer, am Fernseher und an der Stereoanlage bündele ich mit den Klemmen Audio- und Videokabel zusammen (und auseinander). An meinen Wänden halten die Klemmen Kochrezepte, Kunstwerke, Ansichtskarten oder selbstgebastelte Laternen an Nägel und Haken. Seit damals und bis heute gibt es keinen Raum in meiner Wohnung, in dem nicht eine solche Vielzweckklemme eine einzigartige Aufgabe erfüllt, die nichts und niemand sonst so effektiv wahrnehmen könnte.

Vom Hersteller der maulys® gibt es einen Film, der die Klemme als „eines der vielseitigsten Produkte, die wir in der Bürobedarfsbranche finden“ präsentiert. Der Film spricht mit seinem spröden, pragmatischen Charme für sich – und für die Klemme, deren Wert sich erst nach und nach erschließt, je mehr Zeit man mit ihr verbringt und je offener, je kreativer und je spezifischer man sie als Mittel zum Austausch mit der Welt zum Einsatz bringt.

In diesem Film zeigt Klaus Johanßon, Verkaufsleiter der Jakob Maul GmbH für Deutschland und Österreich, ab Minute 1:01, wie man mit Hilfe vom zwei maulys® einen Katalog abheften kann, ohne ihn lochen zu müssen. Die detaillierte Anleitung, die folgt, lenkt davon ab, dass just in diesen Augenblicken ganz nebenbei das enthüllt wird, was für mich die eigentliche Magie der Klemmen ausmacht: ihr Klang.

Wenn man einen mauly® schließt, hört man das satte, dumpfe ‚Klack‘, mit dem die Griffe auf das Papier schnappen. Normalerweise klackt es zwei Mal hintereinander, da man beide Griffe einzeln umklappen muss. Im Film klackt es bei 1:19 nur einmal, da ein Griff für das spätere Abheften nicht umgeklappt wird und das Umklappen der zweiten Klemme nicht gezeigt wird. Ob einmal oder zweimal: Dieses Klack-Geräusch ist für mich der Inbegriff von „Fertig“, das Signal für einen Abschluss, das ultimative Zeichen der Vollendung. Wenn die Griffe der Klemme umgeklappt werden, geht immer etwas zuende. Im Film – wie übrigens auch oft im Leben von Klientenpräsentationen – geht dieses Ende dem Anfang voraus: Auf das Zuklappen folgt in zwei schnellen Handgriffen das Aufklappen der beiden Klemmen ab 1:25. Wenn man einen mauly® aufklappt, hört man das helle, metallische ‚Klick‘, mit dem der Griff auf den Korpus der Klemme trifft. Manche Menschen ziehen die Klemme von einem Stapel ab, ehe sie anfangen zu lesen. Dann klickt es zwei Mal hintereinander, da man beide Griffe einzeln zurückklappen muss, um die Klemme abzunehmen. Manche Menschen klappen nur einen Griff nach oben und blättern danach den noch geklammerten Stapel um. Dann klickt es nur ein Mal. Ob einmal oder zweimal: Dieses Klick-Geräusch ist für mich der Inbegriff von „Es geht los“, das Signal für einen Anfang, das ultimative Zeichen für den Beginn einer Reise. Und zwischen Anfang und Ende verbirgt sich ein weiteres Geräusch – im Film verwischt durch die zügigen Handbewegungen, mit denen die Klemmen entfernt werden: Das melodische Klingeln, mit dem ein mauly® auf den Tisch klappert, wenn er gerade nicht gebraucht wird (1:27 und 1:30). Der Hohlraum des Korpus und die flexible Befestigung der Griffe klingen im Zusammenspiel je nach Unterlage und Fallrichtung ein wenig anders, aber immer unverwechselbar. Dieses Klingel-Geräusch ist für mich der Inbegriff des „Unentschieden“, die Melodie des „Dazwischen“, das Zeichen für die unendliche Weite der Möglichkeiten, die sich durch Anfang und Ende nicht begrenzen lassen wollen.

„Und jeder Vielzweckklemme“ – so sagte einst der Dichter – „wohnt ein Zauber inne“.


Anmerkung: Die in diesem Artikel erwähnten Markenartikel habe ich zum jeweiligen Zeitpunkt jeweils selbst zu regulären Preisen erworben oder von meinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt bekommen. Ich schreibe über die Produkte, weil sie mir etwas bedeuten. Materielle Vorteile habe ich durch die Erwähnung der Produkte nicht.